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​Die Salige

Auszug aus: Die schönsten Sagen Österreichs – erzählt von Gretl Völter, erschienen im Pinguin Verlag Innsbruck 1969

 

In den Tälern des östlichen Tirol wird heute noch oft von den saligen Leuten erzählt, die nach dem Glauben der Alten Kinder Adams waren und das traurige Erbe des ersten Menschenpaares nicht antreten mussten, weil sie noch vor dem Sündenfall geboren wurden. Für sie blieb die Erde auch nach dem verhängnisvollen Biss in den Apfel ein Paradies.

Vor einigen hundert Jahren sollen in den Hochtälern Tirols noch viele solche Salige gewesen sein.

Sie lebten in einsamen Höhlen und Wäldern und bereiteten sich aus Wurzeln und Kräutern schmackhafte Speisen.

Die Gämse war ihr gezähmtes Haustier und gab ihnen Milch. Gegen Kälte, Hitze und anderen Unbilden waren diese glücklichen Wesen unempfindlich. Manchmal ließen sie sich auch sehen, aber nur von einfachen naturverbundenen Menschen, denen sie Glück und Segen ins Haus brachten.

In unserer Zeit aber haben sie sich niemanden mehr gezeigt.

Am linken Ufer der Isel, gegen Windisch-Matrei zu, öffnet sich das Kalsertal, dessen Abschluss, der Großglockner, Tirol von Kärnten und Salzburg scheidet.

Dieses Tal bildet einen weiten Kessel, in dem das Dorf Kals mit seinen dunkel verwitterten Holzhäusern liegt.

Nach einer alten Überlieferung sollen die ersten  Ansiedler dieses Ortes Räuber gewesen sein. Sie waren große und starke Menschen, die vom Osten her über die Tauern kamen und sich in Kals, diesem sicheren und nach allen Seiten hin abgeschlossenen Versteck, niederließen. Von hier aus konnten sie ihre Raubzüge ungestört nach Süden ausdehnen. Ganz hinten im Tal an einem steilen Abhang des Großglockners, stand früher ein Bauernhof, der zum Spöttling genannt wurde. Der Bauer, ein junger kräftiger Mann, lebte seit dem Tod seiner Eltern allein und war lange auf der Suche nach einer passenden Bäuerin. Da er aber zum Jähzorn neigte und zum Schnaps allzu eifrig zusprach, fürchteten sich die Mädchen vor ihm und er fand keine, die seine Frau werden wollte. Schließlich hatte er es satt, immer vergeblich zu werben und er beschloss überhaupt nicht mehr zu heiraten. So werke er allein und verdrossen auf seinen Hof herum, war jeden Abend Stammgast im Wirtshaus und verfiel mehr und mehr dem Schnapsteufel.

Da klopft es eines Tages an die Tür, und als er öffnete stand ein hübsches, blondes Mädchen vor ihm und fragte, ob es nicht als Dienstmagd bei ihm arbeiten dürfte. Die Fremde gefiel dem Bauern und so behielt er sie.

Bald merkte er wie anstellig und geschickt die neue Dirne war. Immer lustig und zum Singen aufgelegt, wirkte ihr Wesen befreiend auf den einsamen und  trunksüchtigen Mann. Er übertrug seiner Magd allmählich die ganze Wirtschaft, half  selbst fleißig im Stall und auf den Feldern mit und ging kaum mehr fort vom Hof.

Der so gewandelte Spöttligbauer konnte sich ein Leben ohne diese Dirne nicht mehr vorstellen und eine Tages bat er sie, seine Frau zu werden.

Das Mädchen von dem niemand wusste, woher es kam freute sich sehr über diesen Antrag. Doch plötzlich wurde es ernst und sprach: Ich will dir gerne eine treue Frau sein, aber nur unter einer Bedingung: „du darfst mich niemals schlagen und schon gar nicht mit geballter Faust!“

Der Bauer dachte nicht im Entferntesten daran, dass es jemals so weit kommen könnte, und versicherte dem Mädchen seine Liebe und Treue.

So heirateten die beiden, und mehrere Jahre verstrichen in friedlicher Ehe. Auf dem Hof gedieh alles besonders gut. Das Vieh war gesund, die Kühe gaben viel Milch und auf den Feldern stand das Getreide jedes Jahr so schön und kräftig, dass es eine Freude war. Die junge Bäuerin war Mutter von zwei Mädchen geworden, die sie zärtlich liebte.

Da begab sich, dass der Bauer zu einer Hochzeit geladen wurde und bei dieser Gelegenheit betrat er das Wirtshaus im Tal, das er in seiner Junggesellenzeit so ausgiebig besucht hatte. Die Hochzeitsgesellschaft war in ausgelassener Stimmung, Musikanten spielten auf, es wurde getanzt und gesungen und die Zeit verging im Flug. Der junge Spöttligbauer vergaß all seine guten Vorsätze, die Frau, die Kinder und den Hof. Er trank und trank, bis sich die Wirtsstube drehte. Derart schwer benebelt, trat er endlich den Heimweg an. Im Wald war es stockfinster. Sein Weg führte steil bergan und da streifte ihn von ungefähr der Gedanke, was wohl geschähe, wenn er die Bedingung, die seine Frau ihm gestellt hatte, bräche. Es war ihm längst klar geworden, dass sie ein ganz besonderes Wesen war, anders und besser als alle Frauen und Mädchen, die er kannte. Warum aber sollte ich sie nicht schlagen, wenn sie mich zornig macht? Und warum nicht mit der geballten Faust?“ fragte er sich. Seine Neugier war erwacht, und das Böse in ihm gewann die Oberhand.

Als er nach Hause kam, trotz des langen Marsches noch nicht nüchtern, suchte er Streit. Und weil seine Frau nicht darauf einging und ihn auszuweichen versuchte, versetzte er ihr in seinem Dusel einen leichten Faustschlag in den Rücken. Da verhüllte die Bäuerin mit der Schürze ihr Gesicht und ging wortlos aus dem Haus. Am nächsten Tag erwachte der Bauer erst spät aus seinem Rausch. Missmutig polterte er in die Stube. Da stand kein Frühstück auf dem Tisch, seine Kinder sahen ihn verweint und ängstlich an, und alles war so merkwürdig still und leer. Jetzt erst wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Und er begann zu suchen und durchstöberte alle Winkel vom Keller bis zum Dachboden, er stieg auf die Tenne und schaute in den Stall, aber umsonst. Seine Frau war nirgends zu finden. Eintönig verrannen von nun an die Tage auf dem Bauernhof. Die Kinder vermissten ihre Mutter unsagbar. Traurig saßen sie in einem Winkel und riefen sich immer wieder das Bild der Verschollenen ins Gedächtnis. Eines Morgens schließlich liefen die beiden Mädchen unbemerkt vom Hofe fort und in den Wald hinaus. Sie wollten ihre Mutter auf eigene Faust wieder finden. Beim Klang der Aveglocke aber kamen sie lustig, sauber gewaschen und gekämmt wieder nach Hause zurück.

Der Vater hatte sie schon den ganzen Tag verzweifelt gesucht. Nun atmete er erleichtert auf, als die beiden bei der Tür herein kamen. „Wo ward ihr denn so lang und wer hat euch so schön gewaschen und gezopft?“ fragte er sie und vergaß vor lauter Freude zu schimpfen.

„Das hat unsere liebe Mutter getan, die jetzt im Wald draußen wohnt“, antworteten ihm die Kinder, wie aus einem Munde, und ein glückliches Lächeln lag auf ihren kleinen Gesichtern.

Nach einer Weile ging das ältere Mädchen zu seinem Vater, der sich gerade zum Weggehen anschickte, und sagte leise:“ Vater, du sollst aber unsere Mutter nicht suchen, sonst müsste sie ganz weit fort, wo auch wir sie nicht mehr fänden!“

Da blickte der Mann seinem Töchterchen traurig in die Augen und zog seine Joppe langsam wieder aus. Von nun an gingen die Mädchen jeden Samstag in den Wald, bis sie groß genug waren, sich selbst zu waschen und die Zöpfe zu flechten.

Der Bauer begann seit der Flucht seiner Frau, die, wie er wohl gemerkt hatte, eine Salige war zu stottern und dieses Gebrechen ging auf alle späteren Besitzer des Spöttlinghofes über.

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